Kinderfreibetrag trotz verlorenem Kindergeld: So wahren Sie Ihre Rechte
Müssen sich Eltern bei der Einkommensteuer Kindergeld anrechnen lassen, das sie nicht erhalten haben? Diese Frage erhitzt immer noch die Gemüter und beschäftigt die Gerichte. Selbst eine Behelfslösung des Gesetzgebers könnte zu kurz greifen.
Musterklage des BdSt vor dem FG Hessen
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) unterstützt eine Musterklage. Im konkreten Fall gingen die Eltern davon aus, dass ihnen kein Anspruch auf Kindergeld mehr zusteht. Dementsprechend beantragten sie das Kindergeld für die Jahre 2016 und 2017 zunächst nicht. Als sie dann im Jahr 2018 rückwirkend einen Kindergeldantrag stellten, wurde dieses gemäß § 66 Abs. 3 EStG (§ 70 EStG-neu) nur für sechs Monate zurück ausgezahlt. Bei der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 wurde ihnen das Kindergeld, das sie nicht erhalten hatten, jedoch vollständig hinzugerechnet. Gegen diese Regelung richtet sich die Klage, die das FG Hessen per Gerichtsbescheid (vom 23.07.2019, Az. 2 K 1471/18, Abruf-Nr. 211523) zunächst abgelehnt hat. Eine abschließende Entscheidung nach mündlicher Verhandlung steht aus.
Weitere Klage vor dem FG Berlin anhängig
Ein weiteres Verfahren wird vor dem FG Berlin-Brandenburg geführt (Az. 9 K 9217/19). Dort geht es um einen typischen Trennungsfall. Der Vater ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Das Kind lebt seit der Geburt bei der Mutter im Ausland. Auch hier wurde kein Kindergeld beantragt, beim Vater gleichwohl unter Versagung des Kinderfreibetrags vom Finanzamt berücksichtigt
Praxistipp: SSP empfiehlt, vergleichbare Fälle unter Hinweis auf die anhängigen Gerichtsverfahren offenzuhalten. Es spricht einiges dafür, dass die gleichzeitige Versagung von Kindergeld und — freibetrag gegen Grundrechte der Eltern verstößt. Unklar ist allerdings, ob die Gewährung des Kinderfreibetrags ohne Berücksichtigung von nicht ausgezahltem Kindergeld im Festsetzungs- oder im Billigkeitsverfahren erfolgen sollte. Daher rät SSP, neben dem Einspruch im Fesetzungsverfahren zusätzlich — gesondert — eine abweichende Billigkeitsfestsetzung zu beantragen. Die Finanzverwaltung vertritt zwar häufiger die Ansicht, dass eine Billigkeitsmaßnahme bei einer noch änderbaren Steuerfestsetzung unzulässig sei. Dieses Argument ist aber allenfalls bei Konstellationen gültig, in denen offensichtlich fehlerhaft festgesetzt wurde. Davon kann man aber hier gerade nicht ausgehen.
Quelle: WISO SSP 11/2019